Einleitung
Um den Begriff Rückkehr ranken sich nicht nur viele Mythen, es sind ebenso viele persönliche Vorstellungen und gesellschaftliche Erwartungen mit ihm verknüpft. Der Duden definiert Rückkehr nüchtern als „das Zurückkommen nach längerer Abwesenheit“.1 Als Beispiele für die Verwendung des Begriffs werden sowohl „eine glückliche, unerwartete Rückkehr in die Heimat“ als auch „jemanden zur Rückkehr bewegen“ angeführt. Beide Beispiele verweisen auf die Spannweite an Bedeutungen, die der Alltagsbegriff Rückkehr im Zusammenhang mit Migration erfahren kann. Rückkehr(-migration) ist symbolisch und mythisch aufgeladen (Sinatti 2011) und steht zugleich für migrantische Sehnsüchte und Normalität wie für politische Kämpfe und Zwänge, wie folgende Beispiele zeigen.
„Jede Rückkehr war ein Ereignis im Dorf. […] Er liebte diese Stimmung, die fröhlichen Gesichter der Kinder, die sich über ihre Geschenke freuten; er mochte das Wiedersehen mit den Alten, mit den Mitgliedern einer Riesenfamilie, die ihn mit erwartungsvollen Augen ansahen“, freut sich Mohammed, der Protagonist in Taher Ben Jellouns Roman „Zurückkehren“ (2009: 73). Der Roman erzählt die Geschichte eines Gastarbeiters aus Paris, der sich vor der Rente und dem Sterben in Frankreich fürchtet. Er träumt stattdessen von einer Rückkehr in sein marokkanisches Dorf. Sie soll ihn vom tristen Leben in der Fremde erlösen. Für Mohammed erscheint die endgültige Rückkehr nach vielen Jahren in Frankreich als Selbstverständlichkeit: „Der Vertrag ist klar: Ich arbeite, sie zahlen, ich ziehe meine Kinder groß, und eines Tages kehren wir alle nach Hause zurück, ja nach Hause, in mein Vaterland, meine Heimat“ (ebd.: 113). Seine in Paris aufgewachsenen und mittlerweile erwachsenen Kinder sehen das anders, obwohl er – wie viele Migrant:innen in Europa – für die weltweit verstreut lebende Familie ein großes Haus im Dorf gebaut hat, auf das er sehr stolz ist. Während Mohammed mit Frankreich abrechnet und sich in der Rolle des erfolgreichen ehemaligen Gastarbeiters einrichtet, erweist sich auch die Beziehung zu seiner neuen alten ‚Heimat‘ alles andere als einfach.
Der junge Tarek wird nach sieben Jahren in der Illegalität in Italien von der Polizei nach Tunesien abgeschoben. Der Kurzfilm DIE RÜCKKEHR von Charlie Kouka (2019) erzählt von der Rückkehr in sein Viertel und seinen Begegnungen mit alten Bekannten dort. Tarek wurde gewaltvoll abgeschoben. Dennoch rechtfertigt er seine unfreiwillige Rückkehr gegenüber seinen Freunden mit den Worten: „ich dachte, sie zahlen mein Ticket“. Er ist allein, unmotiviert und deprimiert. Seine Freunde scheinen ihm seine Geschichten aus Europa nicht zu glauben. „Ihr seid alle nur neidisch“, kontert er. Er zeigt nicht, wie verletzt und verletzlich er nach seiner Rückkehr ist. Er träumt weiter von der Migration nach Europa und droht der dortigen Polizei: „Wenn ich ihn wiedersehe, töte ich ihn. Er hat mir Handschellen angelegt. Er wollte mich demütigen“. Er stößt auf wenig Verständnis und ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen Träumen, Ängsten und Bedürfnissen. „Euer Freund ist verrückt geworden“, heißt es in Tareks Viertel. Der Kurzfilm endet mit Tareks Selbstmord.
Wie diese Beispiele aus Literatur und Film zeigen, ist Rückkehr im Kontext von Migration mit unterschiedlichen, teils konträren Vorstellungen und Zuschreibungen verbunden, die emotional und politisch aufgeladen sind. Aus migrantischer Perspektive steht der Begriff sowohl für hoffnungsvolle Zukunftspläne als auch für Verzweiflung und Angstzustände. Für viele Migrant:innen gehört er schlicht zur Normalität. Aus Sicht der Herkunftsgesellschaften gelten Rückkehrer:innen entweder als erfolgreiche Vorbilder oder als enttäuschende Versager:innen. Wenn sie zurückkehren, werden sie häufig mit Misstrauen oder Neid empfangen. Diese Bedeutungen und Praktiken stehen in engem Zusammenhang mit den Konjunkturen internationaler Migrationspolitik. Seitens staatlicher Politik wurden und werden (potenzielle) Rückkehrer:innen mit diversen Förderprogrammen umworben sowie mit humanitären Mitteln oder unter Zwang zur Rückkehr bewegt. Rückkehrmigration ist daher je nach historischen, sozialen und politischen Kontexten mit unterschiedlichen Erfahrungen und Erwartungen verbunden. Dabei stimmen gesellschaftliche und politische Erwartungen an Rückkehr mit den individuellen Erfahrungen der Rückkehrer:innen nicht unbedingt überein.
Als Alltagsbegriff erscheint Rückkehr als Kristallisationspunkt von Sehnsüchten und Ängsten. Politisch markiert er das Ziel nationaler wie internationaler Regulierungsversuche. Rückkehr galt es zunehmend auch politisch zu fördern bzw. zu forcieren. In die (Migrations-)Forschung hat der Begriff dagegen nur spät und zögerlich Eingang gefunden. Erst im Zuge der Beschäftigung mit Globalisierungsprozessen und transnationalen Lebensstilen in den 1990er Jahren wandelte sich seine Bedeutung von einem als selbstverständlich erscheinenden Endpunkt eindimensionaler Migrationsbewegungen hin zur Beschreibung eines inhärenten Teilsvon komplexen Migrationsprozessen. Solche wissenschaftlichen Bedeutungsverschiebungen sind jeweils eng mit spezifischen politischen Konjunkturen der Rückkehrförderung verbunden.
Der Beitrag untersucht die vielfältigen, ambivalenten Bedeutungen des Rückkehrbegriffs im Kontext von Migrationsprozessen in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Die gesellschaftliche Bedeutung von Rückkehr changiert dabei im Spannungsfeld von Normalität, Sehnsucht und Zwang. Sie veränderte sich mit dem Ausbau und Wandel globaler Migrationsregime und der Illegalisierung internationaler Migration. Geschlossene Grenzen und die damit einhergehende Verhinderung internationaler Migration führten dazu, dass Rückkehrmigration in den vergangenen Jahren an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und politischer Brisanz gewonnen hat.