45 Wirt­schafts­flücht­ling

ein beitrag von

  • Lauren Stokes

Die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete UN-Flüchtlingskonvention von 1951 definiert ‚Flüchtlinge‘ als Personen mit einer „begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge 1951: Artikel 1). Die BRD hatte das Recht auf Asyl bereits in ihrem Grundgesetz von 1949 anerkannt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 16a Absatz 1). In beiden Grundlagendokumenten ist die individuelle Verfolgung Voraussetzung für den Flüchtlingsstatus.
Der Ausdruck Wirtschaftsflüchtling ist im Gegensatz dazu rechtlich nicht präzise definiert. Er entstand in der Nachkriegszeit im deutschsprachigen Raum aus der Praxis der Asylentscheidungen heraus. Menschen aus dem sogenannten Ostblock, die im Westen Asyl beantragten, von denen aber angenommen wurde, dass sie keine politischen Beweggründe hatten, wurden Wirtschaftsflüchtlinge genannt. In manchen Fällen diente der Begriff als Argument für eine flexiblere Handhabung des Flüchtlingsbegriffs, in anderen Fällen sollte er den Anspruch auf ein Bleiberecht delegitimieren. Mit der Zeit wurde der Begriff immer öfter verwendet, um die Legitimität von Asylgesuchen infrage zu stellen.

Deutsch-deut­sche ‚Flücht­lings­kri­se‘ in den 1950er Jahren

Dass manche Menschen eher aus wirtschaftlichem als aus politischem Zwang migrieren, kam im westdeutschen Diskurs um 1951 auf, also in der Zeit, in der die Genfer Konvention verabschiedet wurde. Die Genfer Konvention entstand als Reaktion auf die Notlage von etwa einer Million ausländischer Menschen, die auch ein Jahr nach der Niederlage der Nazis noch immer in Deutschland lebten. Unter ihnen waren ehemalige Zwangsarbeiter:innen und Überlebende aus Konzentrationslagern. Die Konvention definierte den ‚Flüchtling‘ als eine Person, die „sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“ und aufgrund einer „begründeten Furcht“ nicht in dieses zurückkehren will. Wirtschaftliche Beweggründe wurden in dieser Definition von Flucht nicht berücksichtigt.

Die Entscheidung, nur solche Personen als Flüchtlinge zu definieren, deren Staatsangehörigkeit nicht mit ihrem derzeitigen Aufenthaltsort übereinstimmt, schloss die 12,5 Millionen Heimatvertriebenen ausdrücklich aus. Für sie sollte der neue deutsche Staat Verantwortung übernehmen. Das galt auch für die circa 3,5 Millionen Sowjetzonenflüchtlinge, die die Sowjetzone – später die Deutsche Demokratische Republik (DDR) – in Richtung BRD verließen. Die Reaktionen der DDR auf diese Ausreisen bestimmten den Charakter ihrer Staatlichkeit: das Schließen der Grenze, Kriminalisierung der Auswanderung und schließlich der Bau der Berliner Mauer.

Was für den Osten eine Auswanderungskrise war, war für den Westen eine Flüchtlingskrise. Die BRD kämpfte bereits mit der Integration der deutschen Vertriebenen und fragte sich nun, ob sie es sich leisten könne, auch noch die Flüchtlinge aus der Sowjetzone aufzunehmen. Der bayrische Radiojournalist Walter von Cube nannte ihre Aufnahme einen Akt der „selbstmörderischen Humanität“ (von Cube zitiert nach Limbach 2011: 84). Ernst August Farke, ein Abgeordneter der Deutschen Partei und Vorsitzender des Niedersächsischen Flüchtlingsausschusses, argumentierte mit einer eindrücklichen Metapher gegen die Aufnahme. Sie klingt bis heute in Slogans nach: „Wir befinden uns in einem Rettungsboot. Das Boot ist überfüllt, und je mehr hereinkommen, desto mehr besteht die Gefahr, daß es umschlägt und alles versinkt“ (Farke zitiert nach Ackermann 1995: 96).

Es wurde auch behauptet, die Flüchtlinge aus der Sowjetzone seien die falschen Leute, nämlich keine aufrechten Bürger:innen, sondern Kriminelle, Prostituierte, Männer, die vor ungewollt verursachten Schwangerschaften flohen, und Müßiggänger:innen, die sich vor der harten Arbeit des Wiederaufbaus drückten, um sich im ‚Goldenen Westen‘ zu entspannen (ebd.: 79-82, Sheffer 2011: 66-70, McLaren 2010: 33-34).

Im März 1950 schätzte das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, dass nur 15 Prozent der Neuankömmlinge tatsächlich vor Verfolgung geflohen seien (Ackermann 1995: 96). Im Sommer desselben Jahres führte das Ministerium ein Notaufnahmeverfahren ein, um ‚echte Flüchtlinge‘ von wirtschaftlichen Opportunist:innen zu unterschieden. Das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte machte diese Unterscheidung im Februar 1951 offiziell: „Wirtschaftliche Gründe, ohne eine gleichzeitige persönliche Gefährdung, werden im allgemeinen nicht als Aufnahmegründe anerkannt“ (zitiert nach Limbach 2011: 52).

Die BRD lehnte die Anträge tausender Sowjetzonenflüchtlinge ab. Gleichzeitig fürchtete sie, dass die Abschiebungen als Anerkennung der staatlichen Souveränität der DDR interpretiert werden könnten. Deshalb wurden die abgelehnten Bewerber:innen ‚toleriert‘: Sie konnten weder abgeschoben werden, noch konnten sie einen Wohnsitz anmelden oder arbeiten. So wurde das Tolerieren zu einem sozialen Problem, besonders als die DDR 1952 die innerdeutsche Grenze dicht machte. Die Ausgewanderten steckten nun in der ‚Inselstadt‘ Westberlin fest.

Im Mai 1953 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die BRD müsse alle Bürger:innen der DDR akzeptieren – ausgenommen kommunistische Funktionäre, Kriminelle und Individuen, die sich dem Kindesunterhalt entziehen wollten. Nach diesem Urteil wurden zwar weiterhin nur 25 Prozent der Sowjetzonenflüchtlinge als ‚echte Flüchtlinge‘ eingestuft, doch es wurden nur noch weniger als zehn Prozent der Asylanträge abgewiesen. Die Mehrheit wurde ‚diskret‘ anerkannt. Obwohl sie eher aus wirtschaftlichen als aus politischen Gründen kamen, erhielten sie eine Aufenthaltsberechtigung. Volker Ackermann argumentiert, diese ‚Farce’ eines Verfahrens sei beibehalten worden, um „die Fiktion vom ‚echten‘ politischen Flüchtling aufrecht erhalten“ zu können (Ackermann 1995: 111). Der Umgang der BRD mit den Sowjetzonenflüchtlingen zeigt, wie zentral der ‚politische Flüchtling‘ für die Identitätsbildung in Westdeutschland war; gleichzeitig bereitete er den Weg für den Begriff des Wirtschaftsflüchtlings.

Die Geburt des Wirt­schafts­flücht­lings

Zur selben Zeit erlebte Österreich seine eigene Flüchtlingskrise. Als Ungarn im Frühling 1956 seine Grenzbefestigungsanlagen abbaute, nutzten Ungar:innen die Möglichkeit zur Einreise nach Österreich. Nachdem sowjetische Truppen am 4. November 1956 in Ungarn einmarschierten, nahm diese Migrationsbewegung noch zu. Zwischen diesem Datum und Ende April 1957 überschritten über 180.000 Ungar:innen die Grenze (Knoll 2024: 39). Trotz seiner Neutralitätspolitik zwischen West und Ost nutzte Österreich daraufhin seine Chance, die eigene grundsätzlich Westorientierung zu demonstrieren. So wurde Ungar:innen kollektives Asyl angeboten, auch dann noch, als den Verantwortlichen klar wurde, „dass Ungar:innen nicht ‚nur‘ aus politischen Gründen flohen, sondern auch weil sie ihre Möglichkeiten nutzten, in den ‚Westen‘ zu gelangen“ (ebd.: 44). Die internationale Gemeinschaft stimmte zu. Der UNHCR bestätigte, dass Ungar:innen nach der Genfer Konvention als Flüchtlinge galten. Mehrere westliche Länder boten an, Geflüchtete aufzunehmen. Das erste Angebot der BRD belief sich auf 3.000 Aufnahmen, angesichts des öffentlichen Enthusiasmus für das Projekt erhöhte sie die Quote später (ebd.: 41-42, Poutrus 2019: 41-48).

Ein weniger herzliches Willkommen erwartete die 20.000 Jugoslaw:innen, die 1956/57 in Österreich ankamen. Die Behörden nahmen an, sie kämen für „eine neue Heimat und damit bessere Lebensverhältnisse“, aufgrund ihrer eigenen „schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse“ (zitiert nach Knoll 2024: 47). Auch nach Italien kamen allein im Jahr 1957 11.000 Jugoslaw:innen. Die italienischen Behörden gingen ebenfalls von wirtschaftlichen Gründen aus. Abschiebungen wurden jedoch von weiten Teilen der Presse, von Christdemokrat:innen und von der katholischen Kirche kritisiert. Die Öffentlichkeit war für einen ‚flexiblen‘ Umgang mit den Asylsuchenden. Österreich und Italien setzten daraufhin Jugoslawien unter Druck, wirtschaftlich motivierte Auswanderung nicht länger zu kriminalisieren. 1962 zeigte dieser Druck Wirkung und Jugoslawien gewährte all jenen Amnestie, die zuvor illegal ausgewandert waren (Rolandi 2015, 2019).

Jugoslaw:innen nutzten Österreich und Italien oft als Durchreisestationen in andere Länder, beispielsweise die BRD. Dort angekommen beantragten zwischen 1953 und 1968 knapp 21.000 von ihnen Asyl (Molnar 2018: 98). Im Jahr 1958 erlaubte das deutsche Innenministerium den Asylbewerber:innen, schon während der Wartezeit auf ihren Asylbescheid zu arbeiten. Damit war die Hoffnung verbunden, dass sich der Druck auf die öffentlichen Kassen und das zentrale Asylbewerberlager in Zirndorf in Bayern verringern würde. Daraufhin reisten Menschen aus Jugoslawien bereits mit Broschüren im Gepäck ein, in denen deutsche Firmen um Arbeitskräfte warben. War das Asylsystem damit gescheitert? Wie ein Vermerk des Innenministeriums 1964 festhält, entstand als Reaktion ein neuer Begriff zur Bezeichnung der Jugoslaw:innen: „Da ein großer Prozentsatz der illegal eingereisten Jugoslawen nur mit dem Vorsatz der Arbeitsaufnahme und nicht der politischen Asylsuche zur Einreise kommt, hat sich zur Bezeichnung dieses Personenkreises in Zirndorf die Formulierung ‚Wirtschaftsflüchtling‘ eingebürgert.“ (Bundesarchiv Koblenz 1964a) Werner Kanein, Ausländerreferent im bayrischen Innenministerium erklärte 1966, der „bewußt ironisierende“ Begriff „entstammt der Praxis“ und beschreibt Asylsuchende, die „durch – zumeist bewußten – Mißbrauch des Asylrechts“ (Kanein 1966: 622) versuchen, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen.

Wie bei den Sowjetzonenflüchtlingen lag die Anerkennungsquote von Jugoslaw:innen als ‚echte Flüchtlinge‘ bei einem Viertel. Angesichts des Arbeitskräftemangels in der BRD wurde die abgelehnte Mehrheit allgemein toleriert, vorausgesetzt, sie fanden eine Arbeitsstelle. Doch der Bürgermeister von Zirndorf war frustriert. Er schrieb seinem Bundestagsabgeordneten im Jahr 1964, dass 90 Prozent der Jugoslaw:innen „nur mit dem einzigen Ziel in das Lager kommen, in Arbeit vermittelt zu werden. […] Immer stand das Wohl der Ausländer und die Stimmung im Ausland gegenüber der Bundesrepublik im Vordergrund. Dagegen hat man die Interessen der deutschen Bürger in der Kleinstadt Zirndorf bisher nicht genügend berücksichtigt.“ (Bundesarchiv Koblenz 1964b) Der Bürgermeister protestierte damit dagegen, dass ein weit entfernt agierender Zentralstaat seine Stadt abstrakten außenpolitischen Interessen unterordnete.

Die bayrische Polizei begann, die deutsch-österreichische Grenze zu kontrollieren und hielt Jugoslaw:innen fest, bevor diese Asyl beantragen konnten. Gleichzeitig wurden Menschen aus Zirndorf abgeschoben, denen unterstellt wurde, Wirtschaftsflüchtlinge zu sein. 1965 waren das innerhalb von sechs Monaten über 400 Personen. Die meisten von ihnen kamen aus Jugoslawien, einige kamen aber auch aus Ungarn und Polen. Als diese Abschiebungen bekannt wurden, waren die USA und Frankreich so alarmiert, dass sie den UNHCR baten, offiziell Beschwerde gegen dieses Vorgehen einzulegen (Molnar 2018: 111-112).

Den Bundestag erreichte der Skandal im Januar 1966, als der Hamburger CDU-Abgeordnete Dietrich Rollmann als erste Person im Parlament den Begriff Wirtschaftsflüchtling aussprach. Im Dezember 1965 hatte er eine Kleine Anfrage gestellt, die auf einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung basierte. In diesem ging es um einen jungen Ungarn, der, in einem Zug versteckt, in die BRD geflohen war. Zehn Tage später wurde er abgeschoben. Dies ließ den empörten Rollmann fragen: „Wie viele sogenannte ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ aus den Satellitenstaaten sind in diesem Jahre wieder in ihre Heimatländer abgeschoben und dort zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt worden?“ (Deutscher Bundestag 1965: 402) Das Innenministerium vermied den Begriff und erklärte lapidar, die Bundesländer seien für die Erhebung der Abschiebedaten zuständig. Rollmann forderte, „diese sogenannten ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘“ nicht abzuschieben.

Fünfzehn weitere Bundestagsabgeordnete aus allen drei Regierungsparteien unterstützten seine Forderung. Herbert Wehner, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, stellte eine Anschlussfrage: „Ob Ihnen denn nicht bekannt ist, daß in totalitär regierten Ländern und speziell in kommunistisch regierten Ländern die Verflechtung dessen, was dort Wirtschaft heißt, mit dem, was Politik und Verfolgung ist, so eng ist, daß es unserer Bürokratie nicht ansteht, hier zunächst dem Flüchtling die Beweislast dafür aufzuerlegen, was er ist.“ Fritz Büttner, ebenfalls SPD, hakte nach: „Herr Staatssekretär, wer hat den Ausdruck ‚Wirtschaftsflüchtling‘ erfunden – übrigens ein scheußlicher Ausdruck – und damit zwei Arten von Flüchtlingen geschaffen?“ Hans Schäfer, FDP-Abgeordneter und Vertreter des Innenministeriums, antwortete: „Ich teile völlig Ihre Auffassung über diesen Ausdruck ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘. Wer ihn erfunden hat, kann ich nicht sagen, wir jedenfalls nicht. Er hat sich wohl in der Presse oder sonstwo entwickelt.“ (Deutscher Bundestag 1966: 611-615)

Die Presse war mit Rollmann und den anderen Abgeordneten einer Meinung. Die Süddeutsche Zeitung nannte den Begriff Wirtschaftsflüchtling ein übles Produkt des Behördenjargons und argumentierte, Bayern solle die Abschiebung dieser Personen einstellen – „die wenigen ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ dürften da kein ernstes Problem darstellen“ (Köfl 1965: 4). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gab ihrem Bericht zur Debatte eine unverblümte Überschrift: „Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Ostblock oft zu schnell abgeschoben“ („Wirtschaftsflüchtlinge“ 1966: 5).

Vorläufige Forschungsergebnisse zeigen, dass sich der Begriff mit den aus dem Ostblock flüchtenden Menschen auch in anderen westeuropäischen Ländern, über Deutschland und Italien hinaus, etablierte. Für Frankreich haben Historiker:innen herausgefunden, dass der Begriff réfugié économique sowohl in Archiven von NGOs als auch in Staatsarchiven zum ersten Mal in den 1960er Jahren auftauchte, und zwar in Bezug auf Geflüchtete aus Ungarn und Jugoslawien (Angoustures 2014; Akoka 2019, 2020: 152-155). Der Begriff economische vluchteling wurde im niederländischen Parlament 1965 zum ersten Mal verwendet und bezog sich auf Jugoslaw:innen. Die Behörden in den Niederlanden kamen ebenfalls zu der Einschätzung, dass die meisten keine ‚echten Flüchtlinge‘ waren. Sie schoben sie häufig in die BRD ab, da dies das Land war, durch das die Flüchtenden zuletzt gekommen waren (Kolpa 2022: 15; Walaardt 2012: 112-113).
Die Auswanderungsbewegung aus Jugoslawien verbreitete auch im Englischen die Wortschöpfung economic refugee, als US-amerikanische humanitäre Helfer:innen den Begriff aufgriffen, um ihn zu kritisieren. 1958 schrieb eine vom International Rescue Committee (IRC) finanzierte Untersuchungskommission, dass „der Begriff ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ nicht nur ungenau ist, sondern auch dazu dient, die jugoslawischen Flüchtlinge als minderwertig darzustellen“ (Zellerbach Commission 1958: 7, 58-61, 64, 68). Bischof Edward Swanstrom, Direktor der National Catholic Welfare Conference in den USA, nannte den Begriff Propaganda: „The subtle campaign of the Yugoslav authorities to popularize the term ‚economic‘ refugee […] has resulted in drastic reductions in U.S. aid to refugees from Yugoslavia.“ Der Begriff unterstelle zu Unrecht, dass „a desire to work and to earn a decent living were in itself improper and shameful“ (Swanstrom 1962: 22752-22753).

Unabhängig davon, ob der jugoslawische Staat diesen Begriff nun aktiv verbreitete, wie Swanstrom das unterstellte, oder nicht – der Begriff war im Kontext der Auswanderungsbewegungen aus Jugoslawien entstanden und hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Eigenleben entwickelt. Der norwegische Rechtsgelehrte Atle Grahl-Madsen schrieb 1966 in seiner Studie über das Flüchtlingsrecht: „Die Tatsache, dass die wirtschaftlichen Bedingungen in vielen demokratischen Ländern besser sind und der Lebensstandard höher ist als in vielen diktatorisch regierten Ländern, hat zu dem Begriff economic refugee, also ‚Wirtschaftsflüchtling‘ geführt. Dies ist jedoch eine unzutreffende Bezeichnung und sollte vermieden werden“ (Grahl-Madsen 1966: 76). Die Tatsache, dass ein norwegischer Rechtsgelehrter, der in englischer Sprache schreibt, den deutschen Begriff aufnimmt, deutet darauf hin, dass er die deutschsprachige Wendung als die ursprüngliche Version dieser unpräzisen Beschreibung versteht.

Zur selben Zeit, im Asien der frühen 1950er Jahre, wurden Menschen, die von der Volksrepublik China über die Grenze nach Hongkong kamen, ebenfalls unlautere Motive unterstellt. Manche Politiker:innen nannten sie „Reisflüchtlinge“. Der Neologismus war abgeleitet von „Reis-Christen“, ein abwertender Begriff für Menschen, die zum Christentum konvertierten, und zwar nicht primär aus spiritueller Überzeugung, sondern um in den Genuss materieller Vorzüge zu kommen. Der Begriff funktionierte ähnlich wie der des Wirtschaftsflüchtlings in Europa. Der Wunsch nach materieller Verbesserung wurde gegenüber ideologischen oder politischen Motiven überbetont und so der Anspruch auf humanitäre Hilfe in Zweifel gezogen (Madokoro 2016: 1-2). Der Begriff Reisflüchtling tauchte anschließend noch ab und zu im US-Vokabular für Zwangsmigration in Asien auf, langfristig setzte sich jedoch der zeitlosere Begriff economic refugee durch.
Als der Begriff economic refugee in den 1950er und 1960er Jahren aufkam, verwendeten ihn einige humanitäre Helfer:innen, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Rechtsgelehrte, distanzierten sich aber gleichzeitig von ihm. Sie erkannten an, dass viele Flüchtende aus kommunistischen Staaten zwar nicht den strengen Kriterien des politischen Flüchtlings entsprachen, wollten die Menschen jedoch auch nicht in die Länder zurückschicken, aus denen sie geflüchtet waren. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Begriff verwendet, um für Toleranz und Flexibilität zu werben. Im Laufe der 1960er Jahre legalisierte Jugoslawien zunächst die Arbeitsemigration und begann dann, sie aktiv zu fördern: Das Land unterschrieb mehrere bilaterale Anwerbeabkommen, darunter mit Österreich und der BRD. Der Begriff Wirtschaftsflüchtling wurde immer weniger verwendet. Erst Ende der 1970er Jahre sollte er wieder an Popularität gewinnen, jedoch mit Bezug auf eine völlig andere Personengruppe.

Die Rück­kehr des Wirt­schafts­flücht­lings

Zwölf Jahre lang kam der Begriff in keiner Bundestagsdebatte mehr vor. Erst 1978 benutzte ihn Carl-Dietrich Spranger (CSU) in einer Debatte um Asyl und merkte die damals steigende Zahl von Asylanträgen an. Von nur 5.900 im Jahr 1973 war die Zahl in der BRD 1977 auf 16.410 gestiegen, für 1987 wurden 28.000 Anträge prognostiziert. Konnten all diese Anträge legitim sein? Spranger behauptete, die Mehrheit der Flüchtenden „schützt lediglich persönliche politische Verfolgung vor, um sich wirtschaftliche Vorteile durch langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. Vor allem über Ost-Berlin werden immer mehr dieser Wirtschaftsflüchtlinge – insbesondere aus Pakistan – asylrechtsmißbräuchlich eingeschleust.“ (Deutscher Bundestag 1978: 7370) Nicht nur die Zahl der Anträge war gestiegen, auch die Herkunftsländer hatten sich vervielfacht und diversifiziert, wie das Beispiel der über die sogenannte ‚Berlin Gap‘ eingereisten Asylbewerber:innen aus Pakistan zeigt (Stokes 2023).

Die Art und Weise, in der der Begriff Wirtschaftsflüchtling 1978 in der Debatte verwendet wurde, zeugt von einer Bedeutungsverschiebung. Erstens verwendete Spranger den Begriff als selbstverständliche Beschreibung, ohne ihn in Anführungsstriche zu setzen oder ihn als Behördenjargon abzutun. Zweitens meinte er mit dem Begriff ein bewusstes Hintergehen und behauptete, die Asylsuchenden würden ihre Verfolgung „vorschützen“. Und drittens steht in seiner Rede nicht mehr der „Pushfaktor“ der schlechten ökonomischen Bedingungen im Herkunftsland im Fokus, sondern Deutschlands wirtschaftliche Freigiebigkeit als „Pullfaktor“.

Die Annahme, Asylsuchende würden die deutsche Großzügigkeit ausnutzen, war Ausgangspunkt für die vielen Versuche in den 1980er Jahren, das Asylsystem zu reformieren. Im Juni 1980 verabschiedete die Bundesregierung das „Sofortprogramm zur Begrenzung der Einreise ‚unechter‘ Asylbewerber“, inklusive Wiedereinführung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger:innen und Aufhebung der Arbeitserlaubnis für alle Asylsuchenden. Die Anzahl der Neuanträge fiel sofort. Behörden tendierten zu der Einschätzung, dass für den Erfolg des Programms nicht die Visumpflicht, sondern eher das Arbeitsverbot verantwortlich war. Diese Erkenntnis bestätigte eindrucksvoll die bereits existierende Theorie, dass die meisten Asylbewerber:innen in der Tat Wirtschaftsflüchtlinge seien. Sie diente auch als Argument für die Einführung von „Wartezeiten für die erstmalige Beschäftigung“, die Asylsuchenden die Teilhabe am Arbeitsmarkt erst nach zwei Jahren erlaubte. Das Arbeitsverbot bedeutete, dass lokale Gemeinden die volle finanzielle Verantwortung für Asylsuchende tragen mussten. Manche Städte gaben Gutscheine statt Bargeld aus, angeblich um Wirtschaftsflüchtlinge davon abzuhalten, Geld nach Hause zu schicken (Stokes 2019: 36-39). Im Sommer 1983 entsandte der UNHCR schließlich eine Delegation in die BRD, um die „in Europa einzigartigen abschreckenden Maßnahmen“ zu untersuchen. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass die ergriffenen Maßnahmen „echte Flüchtlinge schwerer traf als Wirtschaftsmigrant:innen“ und dass die Bundesrepublik einen „gefährlichen Präzedenzfall in Europa“ geschaffen habe, „der Nachahmung in anderen Ländern finden könnte“ (Toscani 1983: 149, 156, 157; Milzow 2008).

Doch immer mehr Politiker:innen und Beamt:innen behaupteten, die BRD sei überproportional durch Asylsuchende belastet. Statistiken des UNHRC von Ende 1992 zeigten, dass in der BRD im Laufe der letzten zehn Jahre über 1,4 Millionen Asylanträge gestellt worden waren. Die nächsten drei Staaten im Ranking hatten zusammengerechnet weniger Anträge zu bearbeiten: Die USA hatte 508.000 Anträge erhalten, Frankreich 318.000 und Schweden 252.000 (UNHCR 1993: Annex I.5 „Indicative Numbers of Asylum Applicants in 26 Industrialized Countries: 1983-1992“). Die Interpretation dieser Zahlen war jedoch umstritten. Viele Politiker:innen erklärten die Zahlen damit, dass die allermeisten von ihnen ‚Scheinasylanten‘ und ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ seien – zwei Begriffe, die in den 1980er Jahren populär waren (Wengeler 1995; Sylla 2023). Die wachsende Pro-Asyl-Bewegung hingegen argumentierte, dass die meisten Antragsteller:innen wirklich Schutz brauchten. Sie formulierte explizit Kritik an den Begriffen und an den ihnen zugrunde liegenden Annahmen.

Protestantische Gruppen wiederum akzeptierten die Trennung zwischen politischen und wirtschaftlichen Motiven tendenziell, allerdings kritisierten sie die abwertende Verwendung des Begriffs Wirtschaftsflüchtling und riefen zu mehr Verständnis für jene Menschen auf, die aus ökonomischen Gründen flohen (Spanos 2022: 283-286). Andere Kritiker:innen des Begriffs wie Peter Zuber, Mitgründer der schweizerischen Aktion für abgewiesene Asylbewerber, betonten, wirtschaftliche Ungleichheit sei ein politisches Problem. Als die Boulevardzeitung Blick ihn fragte, ob das Wort Wirtschaftsflüchtling Teil seines Vokabulars sei, antwortete er mit einer Diskussion darüber, inwiefern die Schweiz von der globalen Wirtschaftsordnung profitiere: „Da wir durch unser wirtschaftliches Handeln direkt oder indirekt für diese Fluchtgründe verantwortlich sind, sind wir verpflichtet, diese Menschen bei uns aufzunehmen“ (zitiert nach Pärli 2024: 191).

Andere widersprachen der Idee, dass Wirtschaftsflüchtlinge eine neue Bedrohung seien und verwiesen auf die lange Geschichte der wirtschaftlich motivierten Migration in Zentraleuropa. Eine NGO zur Unterstützung von Geflüchteten in Österreich startete 1990 eine Kampagne, in der prominente Österreicher:innen verkündeten: „Wir sind alles (Kindes)Kinder von ‚Wirtschaftsflüchtlingen‘“ (Archiv Grünes Gedächtnis Wien 1990). Weniger öffentlich, aber nicht weniger zutreffend, schrieb jemand aus der DDR im Februar 1990 in einer Eingabe an den Zentralen Runden Tisch. Er argumentierte für eine Ausweitung des Rechts auf Asyl und einen Zugang zur DDR-Staatsbürgerschaft für Ausländer:innen: „Nun wird in dieser Zeit viel über Wirtschaftsflüchtlinge diskutiert“, „[a]ber sind die ausgereisten DDR-Flüchtlinge nicht auch Wirtschaftsflüchtlinge?“ (Bundesarchiv Berlin 1990) Seine Frage verweist darauf, dass der Begriff Wirtschaftsflüchtling flexibel gehandhabt worden war. Die Kategorie wurde nur dann auf eine Person angewandt, wenn bereits die Annahme im Raum stand, dass sie keinen Rechtsanspruch auf Asyl hatte. Also auf jene ‚Hochstapler:innen‘, deren Präsenz angeblich den Status der ‚echten Flüchtlinge‘ bedrohte.

Die Argumente der Asylbefürworter:innen gingen unter. Ende 1992 einigten sich CDU/CSU, FDP und der größte Teil der SPD darauf, das Recht auf Asyl im Grundgesetz zu überarbeiten. Der neue Paragraf 16 beginnt weiterhin mit der Feststellung: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – schränkt dann aber den Zugang zu diesem Recht ein. Personen, von denen angenommen wurde, dass sie aus einem „sicheren Herkunftsland“ kamen, oder die durch ein „sicheres Drittland“ eingereist waren, konnten nun zurückgeschickt werden. Eine weitere Revision schränkte die Möglichkeit ein, an Flughäfen Asyl zu beantragen. Da jeder Nachbarstaat mit Landesgrenzen zur BRD als „sicherer Drittstaat“ galt und Asylsuchende, die über die Luftgrenze einreisten, weniger Rechte hatten, wurde die BRD Vorreiterin eines globalen Trends: dem Aufbau einer „Architektur der Zurückweisung“, die Asylsuchenden den Zugang zu Anerkennungsverfahren verweigert (Fitzgerald 2019).

Die USA waren ebenfalls international führend bei der Einschränkung des Asylrechts. Sie verabschiedeten 1980 ein richtungsweisendes Flüchtlingsgesetz, nur um dann den Rest des Jahrzehnts mit der Debatte darüber zu verbringen, wer dieses Recht in Anspruch nehmen könne. Das Konzept des economic refugee war in dieser Debatte zentral. Menschen, die aus Kuba flüchteten, kamen in den Genuss der Annahme, sie seien ‚echte‘ Flüchtlinge, während Menschen aus Haiti unterstellt wurde, sie seien economic refugees oder economic migrants. Im Mai 1981 begann die USA, Menschen aus Haiti bei ihrer Ankunft festzunehmen, um sie von der Einreise in die Vereinigten Staaten abzuhalten – ein entscheidender Schritt hin zur umfassenden Inhaftierung von Menschen, die unerlaubt in die USA einreisten (Lindskoog 2018: 15-18, 60-70; Kahn 2019).

Wirt­schafts­flücht­linge im 21. Jahr­hun­dert

Catherine Dauvergne nennt den ‚Wirtschaftsflüchtling‘ den „meistgeschmähten Asylsuchenden des globalen Zeitalters“ (Dauvergne 2008: 65). Politiker:innen haben eine ganze Bandbreite von neuen Einschränkungen mit dem Argument verteidigt, sie bekämpften Wirtschaftsflüchtlinge und trügen so zu einem besseren Schutz der ‚echten‘ Flüchtlinge bei. Andererseits hielt die Idee, wirtschaftliche Beweggründe würden einen Asylantrag delegitimieren, Staaten nicht davon ab, Asylsuchende und Flüchtlinge zur Arbeit anzuhalten. Während Antragsteller:innen in Deutschland wirtschaftliche Motive ausschließen müssen, ist ihre Arbeit eine implizite oder explizite Voraussetzung für ihre Integration (Stokes 2019). Das Gleiche gilt auch in anderen Ländern. Laura Robson argumentiert sogar, dass in der internationalen Flüchtlingshilfe eine „dauerhafte Bemühung“ zu beobachten sei, „Flüchtlinge in befristete und schlecht bezahlte, teilweise sogar gefährliche […] Arbeit zu vermitteln“ (Robson 2023: 5).

Und trotzdem geben die Vereinten Nationen und der UNHCR weiter Leitlinien zur Bestimmung des Schutzstatus heraus, die auf der binären Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Fluchtgründen basieren. Die UN spricht heute von mixed migration, also der Idee, dass in jeder Gruppe von migrierenden Menschen sowohl Flüchtlinge als auch Migrant:innen sein können. Laut UN haben Staaten Flüchtlingen gegenüber eine besondere, allen anderen jedoch nur eine grundlegende Verpflichtung (Hamlin 2021: 75-76). Dieser Ansatz wird unter anderem durch die New York Declaration for Refugees and Migrants verkörpert, die die Generalversammlung im September 2016 verabschiedete. Darauf aufbauend kamen im Dezember 2015 der Global Compact for Refugees (GCR) und der Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM) hinzu. Bei diesen Abkommen handelt es sich um „rechtlich nicht bindende Kooperationsrahmen“. Der GCR bekräftigt grundlegende Elemente des internationalen Flüchtlingsrechts, während der GCM 23 Ziele umfasst, auf die die unterzeichnenden Staaten gemeinsam hinarbeiten wollen. Dazu gehören zum Beispiel „Rettung von Menschenleben und Festlegung koordinierter internationaler Maßnahmen betreffend vermisste Migranten“, aber auch „Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel und Bemühung um Alternativen“ und „Gewährleistung des Zugangs von Migranten zu Grundleistungen“. Durch das konsequente Adressieren der Migrant:innen „ungeachtet ihres Migrationsstatus“ besteht der Pakt darauf, dass alle migrierenden Menschen ein Mindestmaß an menschlicher Würde verdienen.

Die Debatten über die Unterzeichnung dieser zwei internationalen Verträge verdeutlichen, wie sich Staaten 2018 gegenüber multilateralen Anstrengungen zum Schutz migrierender Menschen positionieren. Die USA, mitten in der ersten Amtszeit von Trump, unterschrieben keines der Dokumente. Polen, Tschechien und Ungarn stimmten gemeinsam mit den USA gegen den GCM. Andere Länder, unter anderem Österreich, Australien und Italien, enthielten sich. Politiker:innen von der AfD behaupteten, der CCM sei ein „versteckte[s] Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“, das zu mehr Wirtschaftsflüchtlingen führen werde (AfD 2018; Deutscher Bundestag 2018). Obwohl auch einzelne Mitglieder der CDU/CSU den GCM dafür kritisierten, dass er nicht zwischen Asyl- und Arbeitsmigration unterscheide, unterstützte die Partei letztendlich Deutschlands Beitritt zum Pakt als Teil der Bemühung um multilaterale Kooperation (Leubecher 2018; Brössler 2018). Die CDU betonte im „Faktencheck: UN-Migrationspakt“, der Pakt stelle die deutsche Souveränität nicht infrage. Im Gegenteil, durch die „Bekämpfung der Fluchtursachen“ reduziere sich die Einwanderung nach Deutschland langfristig (CDU 2018).

Im Vergleich mit früheren Debatten ist es erstaunlich, dass 2018 niemand mehr den Begriff selbst als „scheußlichen Ausdruck“ bezeichnete, oder die dahinterstehenden Ideen kritisierte. Er hat sich als Bezeichnung für die ‚Unerwünschten‘ allgemein etabliert. Die Debatte des Mainstreams dreht sich nicht mehr darum, ob es gerecht ist, Wirtschaftsflüchtlinge von anderen abzusondern. Vielmehr geht es darum, wie viel Gewalt gerechtfertigt ist, um sie von den Grenzen abzuhalten, die sie stur weiter versuchen zu überqueren.

Fazit

Der Begriff Wirtschaftsflüchtling platziert das Ökonomische außerhalb der politischen Sphäre. Er wurde erst als Label für Menschen verwendet, die aus ihren Ländern flüchteten, aber nicht den gängigen Kriterien der politischen Verfolgung entsprachen. Aus dem spezifischen Kontext von Österreich und Deutschland während des Kalten Krieges scheint das Wort in andere europäische Sprachen gewandert zu sein, beispielsweise in das Italienische, das Französische, Holländische und das Englische. Kritik am Begriff des Wirtschaftsflüchtlings macht sich unter anderem daran fest, dass es schwer ist, klar zwischen wirtschaftlicher Not und politischer Verfolgung zu unterscheiden. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass wirtschaftliche Not selbst politisch konstruiert ist und somit wirtschaftliche Gründe als legitime Fluchtgründe anerkannt werden sollten.

Trotz der Kritik ist der Begriff seit den späten 1970er Jahren in ständiger Verwendung. Bis Mai 2025 wurde er im Bundestag insgesamt 201-mal ausgesprochen. Dazwischen entstanden Variationen des Begriffs: ‚Wirtschaftsasylant‘ war in den 1980er Jahren populär, im Bundestag wurde er zwischen 1980 und 1997 42-mal protokolliert. In den frühen 1990er Jahren wurde er durch den Begriff ‚Wirtschaftsmigrant‘ ersetzt, möglicherweise als Rückübersetzung aus dem Englischen und Französischen (economic migrant). Diese Version wurde zwischen 1998 und 2025 immerhin 85-mal im Bundestag erwähnt. Sie wird oft als direkter Gegensatz zu „politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge“ verwendet und erfüllt damit anscheinend dieselbe diskursive Funktion wie Wirtschaftsflüchtling – der illegitime Schatten des legitimen Flüchtlings. Alle drei Begriffe definieren eine Kategorie menschlicher Mobilität aufgrund wirtschaftlicher Motive und werden in ähnlicher Weise verwendet: Sie unterstützen Argumente, durch die der Zugang zu Asylverfahren beschränkt und das Leben von Asylbewerber:innen erschwert werden soll.

Ein Blick in die Geschichte erinnert uns daran, dass der Begriff relativ neu und kontingent ist. Wir können uns dafür entscheiden, ihn weiter zu verwenden. Wir können uns aber auch dafür entscheiden, die ihm zugrundeliegenden Annahmen über Bord zu werfen.

Ausge­wählte Lite­ra­tur

Zum Weiterlesen

Ackermann, Volker (1995): Der „echte“ Flüchtling. Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945-1961, Osnabrück: Universitätsverlag Rasch.

Knoll, Sarah (2024): Zwischen Aufnahme und Transit. Österreichische Asyl- und Flüchtlingspolitik im Kalten Krieg, Bielefeld: transcript Verlag.

Molnar, Christopher A. (2018): Memory, Politics, and Yugoslav Migrations to Postwar Germany, Bloomington: Indiana University Press.

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